Laut Duden bedeutet ,Nachhaltigkeit' in seiner simpelsten Interpretation soviel wie ,eine längere Zeit anhaltende Wirkung'. Nun befassen wir uns in dieser Mai-Ausgabe von TM TextilMitteilungen mit Nachhaltigkeit in der Mode. Ein Begriff, der in der jüngeren Vergangenheit so inflationär für die Vermarktung von Textilpro-dukten Verwendung findet, dass er nicht nur in seiner Bedeutung verwässert, sondern auch unsachgemäß benutzt wird. Zunächst einmal ist das Wesen der Mode alles andere als nachhaltig, denn oft ist ihre Wirkung eben nicht anhaltend. Vielmehr fordert uns das System fast schon dazu heraus, schnell, unreflektiert und in übertriebenem Maße zu konsumieren. Weil wir mit Textilien zu ungesund günstigen Preisen regelrecht überschüttet werden, haben wir ein Stück weit auch unser Verständnis für ihre Wertigkeit verloren, tendieren dazu, sie als Wegwerf produkt zu empfinden. Dabei weiß im Prinzip jeder, wie und unter welchen teilweise inakzeptablen Bedingungen Mode heute hergestellt wird. Oder vielleicht doch nicht? Das fragte ich mich neulich, als sich mir in der Kölner Innenstadt folgendes Szenario bot: Ich sah eine Frau, die sich zu einem Bettler hinunterbeugte und ihm einen 10-Euro-Schein in die Hand drückte. Für seinen Hund hatte sie eine Dose Hundefutter gekauft, in ihrer Hand trug sie eine große Primark-Tüte, an ihrem Arm baumelte einen mindestens genauso große Handtasche von Prada aus der aktuellen Sommerkollektion. Hatte sie bei Primark für ihre Tochter eingekauft, die vielleicht 16 ist und im zweiwöchigen Rhythmus nach trendigem Textil-Futter verlangt? Reine Spekulation. Dennoch bleibt die Frage: Warum kauft diese Dame beim irischen Dumpingpreis-Giganten, da ihr doch offensichtlich das Prinzip der sozialen Verantwortung vertraut scheint? Lässt sie sich vielleicht von der Anziehungskraft der naturfarbenen Papptüten einfangen, mit denen Primark ironischerweise eine umweltfreundliche Haltung kommunizieren möchte? Womit wir beim ersten Stichwort wären: Kommuniziert wird Mode heute in erster Linie über Werbung - und die verspricht viel, hält aber oft nur wenig. Denn streng genommen gaukeln die Primark-Tüten eine falsche Realität vor. Ebenso wie die aktuelle Werbung des Lebensmittel-Discounters Lidl, der für wenige Cent „gutes Brot" verspricht, das dem Anschein nach völlig naturbelassen hergestellt wurde. Auf diese und andere perfide Maßnahmen zur Täuschung von Konsumenten hat man kaum Einfluss, aber man kann sich ihnen entziehen. Indem man kritisch nachfragt, bevor man etwas kauft. Indem man aktiv das Gespräch sucht und Transparenz - ein zweites Stichwort - einfordert. Das gilt für den Konsum am PoS genauso wie schon bei der Order. Denn wenn im Hinblick auf Mensch und Umwelt schlecht gemachte Produkte nicht akzeptiert werden, besteht auch keine Notwendigkeit mehr, sie zu produzieren. An dieser Stelle könnte man den Teufelskreis durchbrechen. Und man hat heute die Wahl: Weniger zu kaufen. Besser zu kaufen. Strukturen zu hinterfragen. Im Kleinen zu optimieren. Menschlicher zu werden. Die Sinne zu schärfen. Ich weiß, dass das recht leicht formuliert und deutlich schwieriger in die Tat umzusetzen ist, weil eben auch Wirtschaftlichkeit und Pragmatismus beim Handeln eine entscheidende Rolle spielen. Aber darüber nachzudenken, ist schon mal ein guter Anfang. Vielleicht liefert dahingehend der ein oder andere Artikel in diesem Heft einen inspirierenden Denkanstoß.
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